Autor*innen
Organisation/Institut
Fachgebiet
Publikationsformat(e)
Projektstand
Projektbeginn
Projektende
Forschungseinrichtung(en)
Zentraler Phänomenbezug
Phänomenbereich
Hohnstein, Sally
Deutsches Jugendinstitut
Sozialwissenschaften
Sammelband, Journale, Paper, Vorträge, Tagung
Abgeschlossen
1. Juni 2018
31. Mai 2022
Radikalisierung (allgemein)
Phänomenunspezifisch (kein ausdrücklich ausgewiesener Phänomen- bzw. ideologischer Bezug)
Zentrale Fragestellung:
Ausgangspunkt der Studie „Bearbeitung lokaler Konflikte um Migration und Religion“ (BloK) waren die ab 2015 zunehmend beobachtbaren gesamtgesellschaftlichen Polarisierungen im Zusammenhang mit Migration und Religion. Studien aus der Einstellungsforschung diagnostizierten Polarisierungen und Abschottungen gesellschaftlicher Milieus; beobachtbar war ein Erstarken rechtspopulistischer, fremden- und islamfeindlicher Haltungen insbesondere in der „gesellschaftlichen Mitte“ sowie eine zunehmende Konflikthaftigkeit und Verrohrung im gesellschaftlichen Zusammenleben. Diese Entwicklung schlug sich unter anderem in sozialräumlichen Konfliktkonstellationen und z.T. massiven Konflikteskalationen nieder, die auch deutschlandweit mediale und damit auch breite gesellschaftliche Beachtung finden. Solche Konflikte können sich auf unterschiedlichsten Ebenen in diversen Konstellationen manifestieren: Zum einen sind hier klassische Konfliktlagen zwischen Etablierten- und Außenseitergruppen zu beobachten, in denen sowohl ethnozentrische Vorurteile bis hin zu fremdenfeindlichen und rechtsextremen Haltungen, als auch Unsicherheiten im Umgang mit real beobachtbaren unterschiedlichen Verhaltensweisen – auch wechselseitig – eine Rolle spielen können. Zum anderen finden sich Konfliktkonstellationen innerhalb von Etabliertengruppen, z.B. Konfrontationen zwischen Asylgegnern und -befürwortern. Für die präventive Praxis stellen solche Entwicklungen eine besondere Herausforderung dar. Sie muss hier Wege finden, um latenten Konfliktlagen präventiv entgegenzuwirken bzw. bei eskalierten Konflikten zu intervenieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es bedeutsam, bisherige Ansätze der Bearbeitung von nachbarschaftlichen Konflikten um Migration und Religion und damit gewonnene Erfahrungen zu identifizieren, zu erheben und zu systematisieren. Die Leitfrage ist, welche Wege Praxis aktuell findet, um den beschriebenen Konfliktkonstellationen entgegenzuwirken. Mit welchen Ansätzen wird versucht, derartige Konflikte zu bearbeiten und damit auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt auf lokaler Ebene zu fördern? Welche Erfahrungen wurden hierbei gewonnen? Was trägt zum Gelingen von Konfliktbearbeitungen bei und wo zeigen sich Hürden in der Arbeit?
Stichprobenbildung – Datenzugang:
In der methodologisch dem Forschungsansatz der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996; Strauss 1994) folgenden BloK-Studie erfolgte eine erste Feldannäherung u. a. mittels zweier Fachveranstaltungen mit Akteuren aus Wissenschaft und Praxis, die thematische Expertise aufwiesen. Anschließend erfolgte eine Eingrenzung der Fragestellung. Auf dieser Basis wurden zunächst im Jahr 2018 Angebote der Konfliktbearbeitung mittels Internet und Schneeballrecherchen in unterschiedlichen (sozial-)pädagogischen Handlungsfeldern zusammengetragen. Für eine anschließende qualitative Befragung wurden interessante Angebote identifiziert und in Kurztelefonaten kontaktiert. Gefragt wurde, ob Fachkräfte in ihrer Arbeit mit Konflikten befasst sind, die Bezüge zu den Kategorien ‚Migration’ und ‚Religion’ aufweisen und ob sie diese Konflikte auch als Arbeitsgegenstand begreifen. Weiter wurde erfragt, ob dabei ein allparteilicher Ansatz zugrunde liegt und welche Vorgehensweisen in der Bearbeitung der Konflikte genutzt werden. Zum Sample hinzugefügt wurden also nur diejenigen Angebote, die vom eigenen professionellen Anspruch her „Konflikte um Migration und Religion“ bearbeiten und dabei allparteiliche Perspektiven vertreten. Die ‚Fallwerdung’ erfolgte damit mittels Praxiseigendefinition. Aus der Gruppe der so gesampelten Angebote wurden wiederum theoretisch-kontrastierend einzelne Erhebungsfälle ausgewählt und im weiteren Verlauf von Feld- und Auswertungsphase um weitere kontrastierende sowie ähnliche Fälle ergänzt. Auf diese Weise fanden unterschiedliche Konzeptionen und Handlungsansätze aus verschiedenen Bereichen (sozial-)pädagogischer Arbeit Eingang in die Studie. Von September 2018 bis Dezember 2020 wurden 16 leitfadengestützte, erzählgenerierende Einzel- (8) und Gruppeninterviews (8) geführt.
Gesamtstichprobengröße
Inhaltlicher / Thematischer / Empirischer Zentralfokus
Methodik
Erhebungsverfahren
Auswertungsverfahren
16
Zentrale Forschungsbefunde:
In der BloK-Studie wurden Angebote untersucht, deren gemeinsame Klammer eine allparteiliche Grundorientierung in der Konfliktarbeit bei lokalen Konflikten in der Migrationsgesellschaft ist. Solche Konflikte werden aus einer multiperspektivischen, alle Konfliktgruppen einbeziehenden Haltung heraus konstruktiv bearbeitet. Die analysierte (sozial-)pädagogische Bearbeitung von Konflikten kann dabei als multimodale Praxis beschrieben werden: In den Blick genommen werden die Manifestationen und Problemdimensionen von Konflikt und Konflikteskalation sowie deren Ursachen, Kontexte und Bedingungen. Analytisch herausgearbeitet wurden insbesondere drei Handlungsmodi der Arbeit: (1) Im dialogischen Handlungsmodus steht die kommunikative Verhandlung divergierender Interessen im Konflikt im Vordergrund. In großformatigen Veranstaltungen wie Bürgerversammlungen, aber auch kleinförmigeren Werkstätten und Gruppengesprächen sowie Mediationsformaten sollen die konfligierenden Ziele und Interessen der jeweiligen Konfliktgruppen miteinander ins Gespräch gebracht und damit gegenseitiges Verstehen und Verständigung herbeigeführt werden. (2) In einem zweiten Handlungsmodus werden die Konfliktkompetenzen unterschiedlicher konfliktrelevanter Gruppen adressiert. Im Fokus steht die Erweiterung von individuellen Konfliktkompetenzen, sowohl bei den Konfliktgruppen, als auch bei Fachkräften, die im professionellen Alltag Konflikten begegnen. (3) In einem dritten Handlungsmodus stehen schließlich die konfliktimmanenten, offenen und hintergründigen Problemdimensionen im Zentrum der Bearbeitung. Hierzu zählen gesamt- bzw. ortsgesellschaftliche Diskurse um Migration sowie rassistische Vorurteile und Rechtsextremismus, aber auch sozioökonomische Konfliktlinien, politische Desintegrationsphänomene, Möglichkeiten der Integration neuzugewanderter Menschen sowie Generationenkonflikte und die damit verbundene Problematisierung adoleszenter Verhaltensweisen im öffentlichen Raum. Deutlich wurde dabei, dass bearbeitbare Problemdimensionen in den Konflikten durch Etabliertengruppen wie auch mediale Berichterstattung häufig ‚migrantisch‘ markiert werden, d. h., Konfliktlagen über die Kategorie Migration ethnisierend ausgedeutet und eingeordnet werden. Entsprechend relevant sind in der Bearbeitung dieser Konflikte auch Aktivitäten, die insbesondere die Träger:innen von rassistischen Vorurteilen und Fremdenängsten in der Ankunftsgesellschaft adressieren. Aktuell lassen sich im Datenmaterial diesbezüglich vor allem situative Interventionen finden, ergänzt um einzelne begegnungspädagogische Ansätze. Die Bearbeitung dieser Konfliktdimension zeigt sich daher noch ausbaufähig. Zentral ist hierbei, dass von Etabliertengruppen der Ankunftsgesellschaft formulierte Problemzuschreibungen durch die Fachkräfte auch rassismuskritisch analysiert und stereotype Deutungen sowie rassistische Vorurteile und Abwertungen als solche erkannt, benannt und abgelehnt werden. Selbige Sensibilität braucht es, wenn sich im Protest ansässiger Bürger:innen, Etabliertenvorrechte – gemischt mit legitimer Kritik am kommunalen Migrationsmanagement – artikulieren. Vor dem Hintergrund deutlicher gesellschaftlicher Machtasymmetrien in der Migrationsgesellschaft – u. a. angesichts etablierter, mitunter sehr ressourcenstarker Bürger:innengruppen und in der Regel ressourcenschwacher neuzugewanderter Menschen in lokalen Konflikten sowie einseitiger Problematisierungen und Vorurteilsartikulationen durch Etabliertengruppen – müssen Grenzen eines allparteilichen Ansatzes dann diskutiert werden, wenn sich sein Anspruch auf eine Neutralität gegenüber allen beteiligten Konfliktgruppen beschränkt und deren gesellschaftliche Positionalität unberücksichtigt bleibt. Allparteilichkeit in der Bearbeitung von Konflikten in der Migrationsgesellschaft muss einerseits bedeuten, alle Konfliktgruppen, Etablierte wie Neuzugewanderte, gleichermaßen in die Bearbeitung zu integrieren, sich dabei aber andererseits auch mit Abwehr-, Verdrängungs- und Diskriminierungsdynamiken kritisch-reflexiv auseinanderzusetzen.
Implikationen oder praktische Verwendbarkeiten:
weitere Erprobung von Möglichkeiten der konstruktiven Bearbeitung lokaler Konflikte in der Migrationsgesellschaft, Reflexion/Präzisierung des Allparteilichkeitskonzepts, Berücksichtigung von Machtasymmetrien der Migrationsgesellschaft bei der Konfliktbearbeitung und Sensibilität für Rassismen und Vorurteile, Reflexion der eigenen Positionalität als Fachkraft innerhalb der gesellschaftlichen Machtverhältnisse
Hinweise / Anregungen zu möglicher Anschlussforschung:
/
Zitation des Projekts
- Bearbeitung lokaler Konflikte um Migration und Religion
Quellenangabe projektbezogener Publikation
- Hohnstein, Sally (2022): Lokale Konfliktbearbeitung in der Einwanderungsgesellschaft: multimodale (sozial-)pädagogische Praxis in einem komplexen Arbeitsfeld. In: Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (Hrsg.): Lokale Konflikte in der Migrationsgesellschaft. Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. Reihe: Schriftenreihe der Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention. Band 15. München/Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 96-119.
- PDfile: Download Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (2022): Konflikte in der Migrationsgesellschaft – Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. In: Hohnstein, Sally/Langner, Joachim/Zschach, Maren (Hrsg.): Lokale Konflikte in der Migrationsgesellschaft. Konflikterscheinungen und Konfliktbearbeitung. Reihe: Schriftenreihe der Arbeits- und Forschungsstelle Demokratieförderung und Extremismusprävention. Band 15. München/Halle (Saale): Deutsches Jugendinstitut, S. 7-27.
- PDfile: Download Hohnstein, Sally (26.01.2022): Rassismus und professionelle Alltagspraxis. Empirische Eindrücke aus dem Feld der Bearbeitung lokaler Konflikte in der Migrationsgesellschaft. Vortrag. Fachtagung „Ludwigsburger Januargespräche. Rassismus und Diskriminierung.“ Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg: Institut für Angewandte Forschung (IAF).
- Digital Hohnstein, Sally (17.06.2021): Grenzverhandlungen in der (sozial-)pädagogischen Bearbeitung lokaler Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft. Zwischen Grenzreproduktion und Grenzverschiebung. Vortrag. 21. International Conference on Migration „Border Thinking.“ Panel 4. „Border Thinking II.“ Institut für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Institut Integration und Partizipation der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW Olten/Centre de Documentation sur les Migrations Humaines CDMH Dudelange/Kompetenzplattform für Migration, interkulturelle Bildung und Entwicklung (KOPF) der Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Köln/Institut für Regional- und Migrationsforschung IRM Trier.
- Digital, Österreich Hohnstein, Sally (19.09.2020): „Geflüchtete“ als Adressatengruppe in der professionellen Bearbeitung von lokalen Konflikten in der Migrationsgesellschaft. Vortrag. Konferenz „3. Konferenz des Netzwerks Fluchtforschung. Kontexte von Flucht, Schutz und Alltag Geflüchteter.“ Panel. „Widersprüche, Konflikte und sozialpädagogische Interventionen im Fluchtraum Stadt. “ Universität zu Köln/Netzwerk Fluchtforschung. Köln