Rückzug in die Schatten? Die Verlagerung digitaler Foren zwischen alternativen Sozialen Medien, Fringe Communities und „Dark Social“ und ihre Implikationen für die Extremismusprävention

Autor*innen
Organisation/Institut

Fachgebiet
Publikationsformat(e)
Projektstand

Projektbeginn
Projektende

Forschungseinrichtung(en)
Zentraler Phänomenbezug
Phänomenbereich

Frischlich, Lena; Schatto-Eckrodt, Tim; Völker, Julia
Universität Münster

Kommunikationswissenschaft
CoRE-NRW Kurzgutachten
Abgeschlossen
1. Juli 2021
31. Dezember 2021

Universitär
Radikalisierung (allgemein)
Phänomenunspezifisch (kein ausdrücklich ausgewiesener Phänomen- bzw. ideologischer Bezug

Zentrale Fragestellung:

Das Projekt analysierte dunkle Soziale Medien als neue Gelegenheitsstrukturen für Extremismus und Extremismusprävention. Als zentrale Arbeitshypothese wurde ein Modell entwickelt, dass diese Gelegenheitsstrukturen anhand (a) der Selbstpositionierung von Plattformen und der damit einhergehenden „Einladung“ von Nutzenden mit unterschiedlichen Einstellungen, (b) den Verhaltensregeln auf verschiedenen Plattformen sowie (c) den Handlungsmöglichkeiten auf diesen Plattformen konzeptualisierte. Anschließend wurden zwei empirische Studien durchgeführt: (1) einer Plattformanalyse von „Mainstream“ und dunklen Sozialen Medien verschiedener „Genres“ (z.B. Mikroblogs vs. Soziale Netzwerkseiten); sowie (2) einer Literaturanalyse („Scoping review“) der Forschung zu dunklen Sozialen Medien im Kontext von Extremismus. Darauf aufbauend wurden Forschungsdesiderata sowie Implikationen für die Extremismusprävention abgeleitet.

Stichprobenbildung – Datenzugang:
Plattformen: Theoretisches Sampling, Fokus auf den westlichen Kontext; Scoping review: Texte zu relevanten Plattformen (z. B. Telegram, TikTok) zu devianten Inhalten (z. B. extremistische Propaganda, Hate Speech, Verschwörungstheorien), extremistischen Sender:innen (Rechts- und Linksextremismus, Islamistischer Extremismus etc.) und Medientypen (Meme, Video, etc.) identifiziert. Berücksichtigt wurden öffentlich zugänglich Texte mit Bezug zum Thema des Gutachtens in deutscher und englischer Sprache.

Gesamtstichprobengröße
Inhaltlicher / Thematischer / Empirischer Zentralfokus
Methodik
Erhebungsverfahren
Auswertungsverfahren

Plattformanalyse: n = 19, Scoping review: n = 142
Plattformanalyse; Scoping review

 

Zentrale Forschungsbefunde:

Derzeit lassen sich dynamische Veränderungen des Ökosystems Sozialer Medien beobachten, die neue Gelegenheitsstrukturen für Extremist:innen bieten. Insbesondere Insbesondere rücken durch NetzDG und Deplatforming dunkle Soziale Medien in den Fokus der Aufmerksamkeit und werden auch für Extremist:innen wichtiger. Soziale Medien wurden generell als komplexe Systeme beschrieben, die sich in einem bestimmten sozio-kulturellen und historischen Kontext und basierend auf einem bestimmten Stand der Technik entwickeln, aber auch durch das Verhalten der Nutzenden und daraus entstehenden und darüberhinausgehenden Mustern geprägt werden. Individuelles Verhalten auf den einzelnen Plattformen wurde als Konsequenz aus drei Aspekten beschrieben: Wie man sich verhalten will (Einstellungen und wahrgenommene Gratifikationen auf einer Plattform), verhalten soll (Injunktiven und Deskriptiven Normen), und verhalten kann (Handlungsmöglichkeiten oder Affordanzen) (Theorie des geplanten Verhaltens, s. Ajzen, 1991; Ajzen & Fishbein, 1970). Aufbauend auf diesem Rahmenwerk wurde erwartet, dass sich unterschiedliche Genres sozialer Medien sowie verschiedene Typen dunkler Sozialer Medien im Ausmaß an devianten Inhalten unterscheiden. Eine detaillierte qualitative Analyse von 19 Sozialen Medien sowie ein  Scoping Review von 142 Texten bestätigte diese Vermutung. Vor allem Soziale Kontermedien und Fringe Communities scheinen (1) auch deviante Einstellungen bzw. Akteur:innen willkommen zu heißen und (2) auf Normen gegen deviante Inhalte zu verzichten. Vor allem in Kombination mit der hohen Anonymität auf diesen Plattformen ist daher eine Anpassung des eigenen Verhaltens an das Verhalten auf diesen Plattformen zu erwarten. Konsequenterweise finden sich hier (3) auch tatsächlich mehr deviante Inhalte als bei den anderen Sozialen Medien (auch wenn der Anteil bei allen Analysen immer unter 50 Prozent liegt). Obwohl die technischen Affordanzen auf den dunklen sozialen Medien dabei oft ähnlich sind, wie die Affordanzen der reichweitenstarken „Mainstream“ Medien, erreichen Soziale Kontermedien und Fringe Communities jeweils nur Bruchteile der Reichweite, die den größeren Anbietern gelingt. Anders sieht es bei den kontextgebundenen alternativen Sozialen Medien aus. Zwar treten auch hier deviante Inhalte auf, allerdings sind diese Plattformen besser in Relation zu ihrem jeweiligen ursprünglichen Rechtsraum (etwa Russland oder China) zu verstehen, da durchaus auch gegen deviante Inhalte vorgegangen wird – allerdings nicht immer so, dass es deutschen oder europäischen Erwartungen entspricht (etwa wenn TikTok Inhalte löscht, die Europa innerhalb der Grenze des Sagbaren liegen oder Vkontakte Inhalte stehen lässt, die gegen Europäische Normen verstoßen). Bei den untersuchten dunklen Kanälen, vor allem bei den Instant-Messengern, steht Privatheit im Vordergrund, doch nur bei den Messengern Signal und Theema (zu denen keine Studien vorliegen) kann man auf der Plattform anonym (d. h. ohne Angabe der Telefonnummer) agieren. Insbesondere Telegram (das in gewisser Weise als Soziales Kontermedium bei den Instant-Messengern fungiert) ist jedoch längst über ein Chatprogramm hinausgewachsen und in Teilen eher den (teil-)öffentlichen als den privaten Medien zuzuordnen. Telegram wird auch in der Forschung besonders kritisch diskutiert, verschiedene Studien berichten über die Attraktivität der Plattform für Extremist:innen.Die Literatursichtung zeigt, dass das Bewusstsein um die Bedeutung dunkler Sozialer Medien in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist, und in unterschiedlichen Fachdisziplinen verhandelt wird. Aktuell dominieren passivbeobachtende Verfahren die Literatur. Den großen Wirkungsbefürchtungen steht keine große Datenbasis zur Wirkung dunkler Sozialer Kanäle gegenüber.

Kurzgutachten, deutsch (https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/88143)

Forschungspapier, englisch (https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/88967)

Implikationen oder praktische Verwendbarkeiten:

Zweifelsohne ergeben sich durch die Verlagerung digitaler Kommunikationsräume und das Aufblühen dunkler Sozialer Medien neue Gelegenheitsstrukturen für Extremist:innen. Gleichzeitig bieten sich auch neue Optionen für Präventionsakteur:innen. Das vorliegende Gutachten zeigt, dass eine differenzierte Betrachtung verschiedener Typen dunkler Sozialer Medien eine informierte Planung von Präventionsangeboten erleichtern kann. Beim „Rückzug in die Schatten“ lassen sich dabei alternative Soziale Medien mit den Subtypen Sozialer Konter-Medien, kontextgebundener Alternativer Medien und Fringe Communities sowie dunkle Soziale Kanäle, die primär privat oder als Separee-Kanäle auf größeren Plattformen existieren, unterscheiden.

Hinweise / Anregungen zu möglicher Anschlussforschung:

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Zitation des Projekts

  • Frischlich, L.; Schatto-Eckrodt, T. & Völker, J. (2022).
    RÜCKZUG IN DIE SCHATTEN? Die Verlagerung digitaler Foren zwischen Fringe Communities und „Dark Social“ und ihre Implikationen für die Extremismusprävention. CoRE NRW Kurzgutachten, 4. Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC) gGmbH.https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/88143

Quellenangabe projektbezogener Publikation

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